Wenn sich Retten nicht „richtig“ anfühlt

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In den allermeisten Fällen sind Rettungen ein gutes Erlebnis für uns als Feuerwehrmann oder -frau. Meistens können Personen oder Tiere aus misslichen Lagen befreit und in Sicherheit gebracht werden. Und falls nötig werden sie danach von medizinischem Personal gecheckt und betreut. In solchen Fällen fühlen sich sowohl die Geretteten wie auch die Retter gut. Und alle sind froh, dass alles glimpflich verlief. Vor etwa einem Jahr war ich allerdings an einer Rettung beteiligt, die mich noch lange Zeit beschäftigten sollte. Ich fragte mich sogar, ob diese Rettung wirklich „richtig“ war, weil sie nämlich gegen den Willen der geretteten Person geschah.

An einem Sonntagnachmittag wurden wir alarmiert, um eine Person aus einem Graben im Wald zu bergen. Als wir eintrafen waren bereits Sanitäter und Polizisten vor Ort, die die Frau betreuten. Ebenso ein Familienangehöriger, der die Frau zuvor mitsamt der ganzen Familie stundenlang im Wald gesucht hatte.

Es war Herbst, die Frau lag barfuss in Schlarpen und mit leichter Kleidung in einem tiefen Graben im Wald. Sie war stark unterkühlt und völlig entkräftet. Ihr Zustand war besorgniserregend und sie konnte weder selber aufstehen noch leichte Unterstützung zu ihrer Rettung beitragen. Die Bergung musste daher mit Hilfe einer Trage durchgeführt werden.
Weil es zu steil war um sie die Böschung hinauf zu tragen und ihr Gesundheitszustand eine starke Neigung nicht erlaubte, trugen wir die Frau auf der Trage mehrere hundert Meter den Graben hinunter bis zur nächsten Waldlichtung. Die Bergung war aufgrund des unebenen, steilen und rutschigen Terrains aufwendig und anstregenend. Als wir die Frau endlich in das Krankenauto verlegen konnten, waren alle froh, dass sie in Sicherheit war. Soweit fühlte sich alles richtig und gut an.

Doch beim Debriefing erfuhren wir, dass sich die Frau im Endstadium einer schweren Krankheit befand. Sie hatte am Morgen zu Hause mehrere Schlaftabletten eingenommen und ging darauf in den Wald, damit ihre Angehörigen sie nicht rechtzeitig finden konnten und sie ihrem Leiden ein frühzeitiges Ende setzen konnte.
Diese Information änderte für mich schlagartig den gesamten Sachverhalt. Auf einmal fühlte sich die Rettung überhaupt nicht mehr gut an. Ich fragte mich, ob es richtig ist eine Person zu retten, die nicht gerettet werden will, weil sie ihrem Leidensweg ein Ende setzen will. Ob es unser Recht ist, ihren Willen zu ignorieren und sie zu weiteren Wochen oder vielleicht gar Monaten voller Leiden zu zwingen. Sie hatte diesen Weg gewählt, um weiteren Qualen zu entgehen. Und wir zwingen sie jetzt dazu, diese Qualen doch noch zu erleiden. Ist das wirklich in unserem Sinn?

Selbstverständlich war es unsere Pflicht und nichts als richtig, die Frau nach dem Auffinden durch ihre Familie aus diesem Graben zu bergen. Und hätten wir während der Bergung von ihrer Geschichte erfahren, hätten wir sie ja auch nicht wieder in den Wald zurück gelegt. Auch für ihre Angehörigen war es logischerweise das einzig Richtige, sie dort nicht einfach liegen zu lassen. Ich würde als Angehörige meine Mutter oder Frau auch nicht im Wald sterben lassen wollen. Aber es war für mich die erste Rettung, die gegen den Willen der geretteten Person geschah. Und es fühlte sich nicht mehr so „richtig“ an wie es eigentlich sollte. Diese Rettung beschäftigte mich lange.

Aber ich kam zum Schluss, dass es hier irgendwie kein Richtig und kein Falsch gab. Denn unser Auftrag als Feuerwehr ist zu Retten. Sobald wir involviert sind, gibt es für uns – wie auch für Polizisten oder Sanitäter – keine andere Wahl. Auch wenn es gegen den Willen der zu rettenden Person verstösst und es daher eigentlich falsch ist. Wir können diese Person nicht einfach im Wald liegen lassen. Für ein freiwilliges Sterben gibt es Institutionen, die Sterbebegleitung anbieten. Oder bei lebenserhaltenden Massnahmen im Spital gibt es die Möglichkeit Maschinen abzustellen. Aber wir als Feuerwehrmänner und -frauen können niemanden einfach seinem Schicksal überlassen und wieder davonfahren. Auch wenn es sich vielleicht nicht richtig anfühlt und uns noch lange beschäftigen wird, sind wir verpflichtet zu Retten.

Nach einiger Zeit erfuhren wir, dass die Frau verstorben war. Ich weiss nicht wie es ihr nach der Rettung erging und wie sie starb. Und auch wenn die Nachricht traurig war, war ich froh zu wissen, dass sie von ihrem Leiden erlöst wurde.

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One Comment on “Wenn sich Retten nicht „richtig“ anfühlt”

  1. Hey genau so isches mängisch macher mir was mur müesse u dasch richtig so…
    Guet gschribe es zeigt si schön das Rette nid nume eifach isch…
    Danke für z gschribne
    Grüessli

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