Wie mich eine Übung an meine Grenzen brachte

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Im Winter war ich an einem dreitägigen Weiterbildungs-Kurs für Elementarereignisse – also Ereignisse, die in irgendeiner Form mit Naturgewalten zusammenhängen: Seien es Überschwemmungen, Hangrutsche, Lawinen, Sturmschäden oder ähnliches. Der Kurs war äusserst lehrreich und spannend, und er brachte mich zumindest am dritten Tag an meine Grenzen.

In den ersten beiden Tagen lernten wir viel über das Wetter, mögliche Gefahren, wie man Ereignisse vorbeugen oder im Fall der Fälle dann auch bewältigen kann. Wir besuchten diverse Stellen, die auf den ersten Blick völlig harmlos aussahen. So war da zum Beispiel der Dorfbach, der friedlich durch das Dorfzentrum von Schwarzenburg fliesst. Bei heftigen Gewittern wurde er früher zu einem unberechenbaren, reissenden Bach, der ganze Teile des Dorfes überflutete und unglaublichen Schaden anrichtete. Umfassende bauliche Massnahmen, bessere Wettervorhersagen sowie die Professionalisierung der Absprache zwischen den Einsatzkräften führten zum Glück in den letzten Jahren zu mehr Sicherheit.

An einem anderen Ort besichtigten wir ein Schulhaus, beziehungsweise den Hang direkt dahinter. Vor einigen Jahren kam ein Teil des Hangs nach heftigen Regenfällen ins Rutschen. Dass es keine Toten gab, war allein dem Umstand zu verdanken, dass das Unglück an einem Sonntagnachmittag geschah und niemand im Gebäude war. Denn die Schlammlawine durchbrach einen Teil der Hausmauer und wälzte sich quer durch die Schulzimmer und vorne durch die Fenster hinaus auf den Pausenplatz.

Es waren von der geografischen Grösse her gesehen kleine bis mittlere Ereignisse. Aber das Problem bei Naturereignissen ist meistens, dass sie sich örtlich nicht auf einen kleinen Schadenplatz begrenzen. Sie können ein Quartier, ein Dorf, eine Stadt, eine ganze Region oder gar ein ganzes Land betreffen. Und dann kommt man richtig ins Schwitzen… wie wir am dritten Tag noch am eigenen Leib erfahren sollten. Denn wenn die Alarmierungen im Sekundentakt eintreffen, wird es organisatorisch zu einer riesigen Herausforderung.

Eine Übung, die mich an meine Grenzen brachte

Am letzten Nachmittag spielten wir dann in einer Übung ein solches Naturereignis durch. Wir bauten eine Einsatzzentrale auf, die alle Einsätze für unsere ortsansässige Feuerwehr – welche aus ca. 4-5 Gemeinden bestand – koordinieren sollte.

Die Übung beinhaltete ein gewaltiges Gewitter mit grossen Überschwemmungen und Hangrutschen. Und dann ging’s los: Es trudelten unzählige Meldungen ein, zuerst von überschwemmten Kellern, dann von Sperrgut, das im Bach mitgespült wurde und einen Bauernhof und dessen Tiere bedrohte, dann wurden überschwemmte Quartierstrassen und Kreuzungen gemeldet, und auf einmal kamen Meldungen von vermissten Kindern, die vermutlich vom Dorfbach mitgerissen wurden, von Hausbewohnern, die auf das Dach flüchten mussten weil das Wasser bis in den zweiten Stock reichte, von einem voll besetzten Kleinbus, der unter einem Hangrutsch begraben worden war, von einem Vater und seinem Sohn die mit dem Auto spurlos verschwunden waren und in einem ebenfalls überschwemmten und von Hangrutschen heimgesuchten Gebiet vermutet wurden, und und und.

Die Meldungen trudelten haufenweise ein, sämtliche Einsatzkräfte und Fahrzeuge waren längst im Einsatz und reichten niemals aus, um alles gleichzeitig zu beheben. Die Nachbar-Feuerwehren waren alle genauso im Elend wie wir, sämtliche Rettungsorgane waren im Einsatz, der Zivilschutz war alarmiert, aber erst nach mehreren Stunden einsatzbereit. Und zu allem Übel kamen dann noch die ersten Anrufe von der Presse, die natürlich nicht locker liess und einen minutenlangen Telefonterror startete um Infos über die vermissten Kinder und den verschütteten Kleinbus zu erhalten… als hätten wir nicht sonst schon alle Hände voll zu tun.

Irgendwie die Übersicht behalten

Wir versuchten währenddessen zu dritt in der Einsatzzentrale alle Anrufe, Funksprüche und persönliche Meldungen von Einsatzelementen aufzunehmen, zu ordnen und priorisieren (ein Menschenleben ist schliesslich dringender als ein überfluteter Keller, auch wenn derjenige im Keller lauter jammert), den Einsatzelementen via Funk ihre Aufträge zuzuteilen und gleichzeitig Echtzeit-Informationen über die Schadenlage an der Front zu erhalten um die weiteren Schritte zu planen. Die erledigten Fälle wurden durchgestrichen und gleichzeitig mussten die politischen Organe mobilisiert werden, um möglichst rasch Hilfe für Geschädigte zu erhalten und Budgetfreigaben für grosse Räumungsmaschinen zu erhalten.

Es war drei Stunden lang die Hölle los. Und wir waren mittendrin, versuchten trotz all den hereinbrechenden Nachrichten und den chronisch unterdotieren Rettungselementen die Nerven und vor allem den Überblick zu behalten. Ganz ehrlich, wir kamen an unsere Grenzen! Ich weiss nicht, wann ich das letzte Mal so dermassen “im Seich” war. Und die Emotionen musste man schlichtweg ausschalten. Man durfte auf keinen Fall daran denken, dass zwei Kinder vermisst wurden und ein Bus unter einem Hangrutsch begraben war. Einfach weitermachen, priorisieren, organisieren, funken, aufschreiben, durchstreichen, nachfragen, rückmelden und vor allem den Überblick behalten. Holy moly, war das ein Zeug!

Chef zu sein ist anstrengend 😉

Als wir am Abend nach Hause fuhren, war ich richtig erschlagen. Diese Übung hatte mich derart gefordert und erschöpft, dass ich für meinen Kameraden eine äusserst einsilbige Beifahrerin war (er hatte den Nachmittag im Korridor verbracht, einzelne Schadensmeldungen in die Einsatzzentrale gefunkt und sich grösstenteils gelangweilt… und war auf der Rückfahrt dementsprechend gesprächig).

Und dann kam bei mir die Erkenntnis, dass es ja “nur” drei Stunden waren. Im Ernstfall könnte das unter Umständen tagelang so gehen. Natürlich, man würde einfach funktionieren, mithilfe des Adrenalins wird man das auch problemlos stundenlang machen können. Es wäre sicher auch noch eine erfahrene Unterstützung dabei und irgendwann gäbe es eine Ablösung. Ausserdem kämen der Zivilschutz und vielleicht sogar die Armee kämen zu Hilfe. Aber die Erschöpfung zeigte mir, wie gross die Herausforderung ist, wenn es derart hektisch wird und du mittendrin das ganze Orchester dirigieren musst.

Ich beschloss, dass ich am Abend ruhig ein bisschen müde sein darf… wer wird’s mir schon verübeln, ich musste am Nachmittag ja auch nur kurz die Welt retten 😉

 

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