Letzten Samstag hatte ich meine Feuertaufe als Feuerwehr Einsatzleiterin. Für erfahrene Einsatzleiter ein alltäglicher Fall, für mich eine unglaublich intensive Erfahrung. Und für Aussenstehende wohl nur schwer vorstellbar, was da ab geht. Darum voilà: Hier die Aufarbeitung meiner Erlebnisse in Form einer mehr oder weniger chronologischen Geschichte. Sie ist gespickt mit meinen Gedanken, Überlegungen und Entscheidungen an besagtem Samstagmorgen, als die Waldhütte in unserem Dorf durch einen Vollbrand komplett zerstört wurde (und genau so wirr wie’s geschrieben ist fühlte es sich auch an). 😊
Kurz vor 5 Uhr kam der Alarm mit der Meldung «Vegetationsbrand im Wald». Ich traf als Zweite im Magazin ein. Der Erste ist immer Tanklöschfahrzeug-Fahrer, sofern er den entsprechenden Führerausweis besitzt. Der Zweite steigt als Beifahrer ein und übernimmt die Einsatzleitung. Gerade als ich ins Fahrzeug stieg, kam ein zweiter Alarm mit der Meldung «Waldhütte in Vollbrand». Wir schauten einander an. Und dann kamen mir in kurzem Abstand drei Gedanken nach-, mit- und durcheinander: «Scheeiiisse!». «Dort haben wir kein Wasser!». «Oh verdammt und ich sitze auf dem Beifahrersitz und bin somit Einsatzleiterin!». Beim letzten Gedanken waren’s wohl eher drei Ausrufezeichen («!!!»).
Klar, ich habe die ganze Ausbildung zur Einsatzleiterin durchlaufen, war in diversen Wiederholungskursen und habe ausserdem an Übungen schon mehrmals die Einsatzleitung übernommen. Über eine davon habe ich in einem Blogbeitrag berichtet, eine andere war erst knapp 4 Wochen her und ebenfalls riesig. Trotzdem: Das war alles nur Übung. Jetzt galt’s ernst! Klar, irgendwann kommt der erste Ernstfall, und der war dann somit beim Vollbrand unseres Waldhauses. Was für ein denkwürdiger Morgen! Und er hatte noch nicht mal richtig begonnen («uiuiui!»).
Die Anfahrt: Wie schlimm wird’s wohl sein?
Bereits auf der Anfahrt besprachen wir das Wasserproblem, und dass wir wohl unsere Nachbarwehr mit zusätzlichen Tanklöschfahrzeugen zu Hilfe rufen müssen. Wegen der etwas verwirrenden Alarmierung beschlossen wir aber, die 3-4 Minuten abzuwarten und erstmal hinzufahren und uns anzuschauen, was denn nun wirklich brennt.
Bereits auf der Hinfahrt meldeten sich unsere Kollegen aus den anderen Fahrzeugen per Funk und fragten, welche der beiden Anfahrtsrouten sie wählen sollten. Die Polizei erwartete uns bereits und war damit beschäftigt, den Weg für die weiteren Rettungsfahrzeuge zu signalisieren. Das nahm uns zumindest bereits die Einweisung und Verkehrsregelung ab («Danke tuusig!»).
Als wir dann beim Waldhaus vorfuhren, bestätigte sich unsere Befürchtung: Das Waldhaus war bereits in Vollbrand («ojemine, das schöne Waldhaus»). Gleich nach dem Aussteigen alarmierte ich über die Einsatzzentrale unsere Nachbarwehr und bat um Unterstützung durch ihre zwei Tanklöschfahrzeuge. Der erste Atemschutztrupp nahm den Schnellangriff und begab sich sofort Richtung Waldhaus, um die darum liegenden Bäume zu löschen, die bereits Feuer gefangen hatten.
Einsatzleiterin: Ein Tintenfisch mit Helm und Funk
Es musste ein Truppüberwacher für den Atemschutz her («los los! Ich will den Überblick über unsere Atemschützer nicht verlieren, das war mir damals bei meiner letzten Übung als Einsatzleiterin zu chaotisch…!»). Am Anfang übernahm diese Aufgabe der Maschinist am TLF, bevor er dann von jemandem abgelöst wurde. Ein zweiter Atemschutztrupp legte eine Transportleitung mit Teilstück und einer 40er Druckleitung («wow, das steht schon bereit ohne überhaupt einen Auftrag von mir zu erhalten. Merci fürs Mitdenken!»).
Es trudelten immer mehr Fahrzeuge ein und die Organisation des Schadenplatzes bedurfte wegen der engen Strassen- und Platzverhältnisse einiger Überlegungen und Absprachen. Nebenbei wurde ein Fahrzeug beim Rangieren mit einem Rad in einen kleinen Graben gesetzt und stand gefährlich in Schieflage… was dann später noch zu einer Bergungsaktion für das Feuerwehrauto führte («Scheisse, das steht wirklich schief in der Gegend. Ach Mist, ich hab viel grössere Probleme im Moment, darum kümmern wir uns später. Was, du kennst dich aus damit? Ja dann geh mal und schau nach. Merci! So, was kommt als Nächstes?»).
Über den Funk meldeten sich weitere Fahrzeuge, die im Anmarsch waren. Die Zuweisung der Anfahrtsroute; der Entscheid, wo die Motorspritze hin soll («und meine Denkpause von gefühlten 10 Sekunden am Funk… hoffentlich hat sonst niemand zugehört wie ich ewig hin und her überlegte»); die Fragen nach dem Auftrag von weiteren Atemschutztrupps («ähm. Ratter. Ratter. Ratter. Ja genau: Halten auf der Vorderseite, links auf der Seite des Holzschopfs»); die Info, dass im Keller des Waldhauses vermutlich noch eine Gasflasche sei («ouu, das ist gaaar nicht gut!»); der Entscheid ob wir mit dem Bauen einer Zubringerleitung aus dem Dorf starten sollten («ja wir brauchen Wasser, aber nein du hast Recht das ist viel zu weit weg und die Nachbarwehr kommt ja mit 2 TLF… aber was machen wir wenn die Hütte hobs geht, dann brauchen wir viiiiel mehr Wasser, also doch Leitung bauen») … oh Gott, die erste Phase war chaotisch, wie immer.
Von überall her prasselten Informationen und Fragen auf mich ein. Die Entscheide mussten schnell und trotzdem überlegt gefällt werden. Ich hätte ein Tintenfisch mit mindestens 7 Armen und genau gleich vielen Hirnhälften sein sollen (ok, Tintenfische haben wohl mehr als 7 Arme und weniger als 7 Hirnhälften, aber so kleinlich sind wir ja jetzt heut mal nicht. Wir haben schliesslich andere Probleme).
Endlich: Langsam kommt Ordnung ins Chaos
Ich muss gestehen, dass ich während der Anfahrt bereits mit Funken beschäftigt war und die Distanz runter ins Dorf im Nachhinein gesehen kürzer in Erinnerung hatte. Als ich am Ende des Einsatzes wieder runter fuhr, sah ich, dass es wirklich extrem weit gewesen wäre. Zum Glück kam’s nicht soweit, dass wir die Zubringerleitung bauten. Denn kurz nachdem ich den Auftrag erteilt hatte, war bereits unser zuständiger Kreisfeuerwehrinspektor (der höchste Feuerwehrverantwortliche der Region) auf Platz.
Er kam sogleich zu mir und sagte mir, ich solle die Berufsfeuerwehr Biel mit ihrem 4000 Liter Tanklöschfahrzeug aufbieten. Der Gedanke daran war mir gar nicht gekommen. Ich war überaus froh um den Tipp, beauftragte sofort die Einsatzzentrale und stoppte den zuvor beauftragen Bau der Zubringerleitung sogleich wieder («sorry Jungs!»). In der Zwischenzeit organisierte ich jemanden, der die Berufsfeuerwehr beim Schulhaus abholte und zum Waldhaus lotste. Und jemand anderen, der die Verantwortung für den ganzen Wasser Shuttledienst übernahm.
Viele Tipps – alle gut gemeint
Das Schöne war definitiv, dass alle mit vollem Einsatz dabei waren und mitdachten. Ich bekam ständig weitere Informationen und Tipps zugespielt. Es waren 100 prozentig alle davon gut gemeint. Aber es bedurfte trotzdem immer einem Abwägen. Schon nach wenigen Minuten kam der erste, der fragte ob wir jetzt nicht Löschen könnten. Die Unterstützung durch die Nachbarwehren sei ja bereits unterwegs. Ich entschied, dass wir erst mit dem Löschen starten, wenn wir mindesten ein weiteres Tanklöschfahrzeug auf Platz haben. Denn wenn wir einmal richtig loslassen, sind die 3000 Liter auf unserem TLF in wenigen Minuten aufgebraucht.
Im Nachhinein bin ich heilfroh, dass ich eisern an meinem Entscheid festhielt. Denn bis Wasser vom TLF der Nachbarwehr in unser TLF floss, vergingen gut 30 Minuten. Wären wir vorher vom Halten aufs Löschen übergangen, hätten wir unseren Wassertank geleert bevor die Unterstützung da war.
Irgendwann verneinte jemand den Verdacht, dass noch eine Gasflasche im Keller sei («Gottseidank!»). Bald einmal kam auch die Meldung, dass sich hinter dem Haus eine Tür ins Untergeschoss befand, die verschlossen war. Beim Versuch einzudringen kam ein Balken oberhalb der Tür in Bewegung und hing wie ein Damoklesschwert über dem Eingang. Wir entschieden, nichts zu riskieren und mit dem Eindringen abzuwarten.
Einiges später (keine Ahnung mehr ob es 20, 30 oder 40 Minuten waren), kam eine Meldung von der Front, dass der Balken jetzt runtergefallen und der Weg frei sei. Wir wussten, dass das Feuer im Untergeschoss noch wütete während es oben langsam abflaute. Daher wäre ein Eindringen von Vorteil gewesen. Trotzdem entschied ich, zuerst einen erfahrenen Kameraden zum vordersten Atemschutztrupp zu schicken und zu prüfen, ob ein Eindringen auch wirklich verantwortbar war. Er kam kurz darauf zurück und meinte, die Decke könnte jederzeit Einstürzen, er würde nicht Eindringen. Ich verneinte also ein Eindringen und befahl Abwarten.
Es ging im Eiltempo weiter: Ich beauftragte alle Angriffstrupps genügend Abstand zum Objekt zu halten weil Dachbalken, Seitenwände und der Kamin einzustürzen drohten. Kurz darauf beorderte ich zwei Mann an die Front, die den Auftrag hatten, genau diesen Befehl durchzusetzen und die Trupps zurückzunehmen, falls sie im Eifer des Gefechts wieder zu weit nach vorne drangen (was schnell passieren kann). Irgendwann fiel dann – wie erwartet – der Kamin um.
Es folgte der Input fürs Umstellen auf Leichtschaum, um dem Holz die Oberflächenspannung zu nehmen («danke, ja sofort!»). Die Bitte um zusätzliches Licht («natürlich, nur zu! Auf die Idee kam ich gar nicht weil ich bei mir schön Licht hatte.»). Das Organisieren von Trinkwasser, Kaffee und Sandwich. Die Frage, ob man die vielen Glutnester am Boden nicht mit einem Schaumteppich bekämpfen könne («können schon, aber ich persönlich find’s übertrieben. Ah der Kreisfeuerwehrinspektor steht ja grad neben mir und ist gleicher Meinung wie ich, ok dann machen wir’s definitiv nicht.»). Die Frage vom Atemschutztrupp, ob sie auf der Vorderseite nicht die Maske ausziehen können («hm ich seh grad, der Rauch ist stark zurückgegangen, aber nein da kommt ab und zu immer noch Rauch hoch, darum im Zweifelsfall für die Sicherheit entscheiden, also Maske bleibt auf!»). Die Frage nach einem Offizier Front («öhm nein gibt’s nicht, die Idee ist nicht mir gar nicht gekommen weil ich fast alles überblicken kann. Aber ist vermerkt fürs nächste Mal»). Die Diskussion, ob man halb herabhängende Dachbalken runterreissen könne («uiuiui jetzt wird’s heikel, die Brandermittler haben gar keine Freude an uns wenn wir die runterreissen wenn’s aus Sicherheits- oder Löschgründen nicht absolut nötig ist. Ist es wirklich nötig? Nein? Dann wird nichts angefasst! Das wurde uns so eingetrichtert»).
Nach dem Löschen ist noch lange nicht fertig
Je länger der Einsatz dauert und je kleiner das Feuer wurde, desto mehr Leute standen rum. Es ging also darum zu schauen, ob man die ersten Leute mit Retablieren (Aufräumen) beauftragen konnte, während zwei Trupps noch Glutnester bekämpften. Daneben galt es, die Brandwache zu organisieren. Der Kreisfeuerwehrinspektor sagte, wir müssten 12 Stunden Brandwache halten.
Es kam die Meldung, dass die Brandermittler definitiv auf Platz kommen werden. In der Zwischenzeit wurde entdeckt, dass der ganze Zwischenboden noch am Glühen ist. Um die Glut durch die löchrigen Aussenwände bekämpfen zu können, wurden dann doch erste Dachbalken runtergerissen.
Als diese Glut einigermassen gelöscht war, wurde mit dem Kreisfeuerwehrinspektor besprochen, dass wir nach dem Untersuchen des Gebäudes durch die Brandermittler die Hütte doch noch vollständig einreissen müssen, um an die letzten Glutnester zu gelangen. Und auch aus Sicherheitsgründen hätten wir sie wohl nicht so stehen lassen können. Denn genau zu diesem Zeitpunkt stand plötzlich ein alter Mann mit Spazierstöcken beim Pfad direkt unter dem Waldhaus und wollte gerade seelenruhig am Waldhaus vorbei stöcklen, das einzustürzen droht. Ich sah ihn im letzten Moment und rief «Halt!». Es rannte sofort einer runter und begleitete den verdatterten Herrn, während ein anderer mit dem Absperrband zum Pfad runter eilte und absperrte («Mist, da ist ja auch nochmal so ein kleiner Pfad den wir noch nicht abgesperrt haben… das war knapp!»).
Irgendwann waren sowohl die Kriminalpolizei wie auch die Brandermittler fertig mit ihrer Arbeit, die Hütte konnte eingerissen und die restlichen Glutnester gelöscht werden. Das Material war retabliert und die Brandwache konnte sogar etwas früher als geplant beendet werden. Kurzum: Mein erster Ernstfall als Einsatzleiterin bei der Feuerwehr war beendet.
Viel geschafft und noch viel mehr gelernt
Und es war gar nicht mal so schlecht. Klar, wir konnten die Waldhütte nicht mehr retten. Aber wir konnten ein Übergreifen auf den Wald und den Holzschopf verhindern, hatten am Ende alles unter Kontrolle und waren am Abend alle gesund wieder zu Hause.
Es war manchmal ein hin- und her entscheiden (wie beim Bau der Zubringerleitung aus dem Dorf), ein Abwägen (wie beim Entscheid ob wir beim Halten bleiben oder den Löschangriff schon starten sollen), ein kleinliches Überprüfen von Meldungen (wie beim jungen Atemschützer, der nach dem Runterfallen des Balkens ins UG eindringen wollte) und manchmal vielleicht auch ein übervorsichtiges Führen (wie beim Entscheid, dass die Atemschutzmaske aufbleiben muss). Aber meine oberste Priorität war die Sicherheit unserer Leute. Ich war nicht bereit, die Gesundheit oder das Leben von Kameraden zu riskieren, weil der Keller noch abgesucht werden musste oder das Arbeiten ohne Atemschutzgerät einfacher gewesen wäre. Und diese Priorität werde ich garantiert auch beim nächsten Einsatz wieder zu oberst haben. Denn lieber einmal zu viel übervorsichtig entscheiden als einmal zu wenig.
Anderes werde ich mitnehmen und beim nächsten Mal anders machen (wobei sowieso kein Einsatz gleich ist wie der andere) oder dran denken (dafür vergesse ich sicherlich was anderes).
Aber das Wichtigste, was ich mitnehmen werde: Wenn ich etwas nicht weiss, rufe ich jemanden zu mir, der mir beim Entscheid behilflich sein kann. Davon hat es zum Glück ganz viele auf Platz. Und jeder von denen steht mir 100 Prozent zur Seite und unterstütz mich, wo er nur kann. Das ist Teamwork! Und es macht die Arbeit als Einsatzleiterin um einiges leichter.
In diesem Sinne herzlichen Dank an alle, die bei diesem Einsatz tatkräftig mit angepackt, mitgedacht und mitberaten haben! 😊
Hier noch der Link zum Bericht der Kantonspolizei Bern
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One Comment on “Feuertaufe als Einsatzleiterin”
Toller Beitrag Corä!
Du hast vor Ort eine super Büez gemacht!